„Arbeit in der digitalisierten Welt“

buchcovereine Rezension des Sammelbandes zur Fachtagung des deutschen Bundesministeriums für Bildung und Forschung (Berlin 2015)

In dem Band wird das  schier Unmögliche versucht: die gesamte Bandbreite des Forschungsgebiets „Digitale Arbeit“ mit all seinen Haupt- und Nebenströmungen, (mit-)reißenden Fluten und stillen Gewässern abzudecken – und es gelingt größtenteils. Die Vielfältigkeit und die unterschiedlichen Ansichten zu dem Thema werden auf hohem wissenschaftlichem Niveau diskutiert.

Während beispielsweise Delden/ Chia (innosabi GmbH) die Dialog und Mitsprache fördernden Möglichkeiten von Crowdsourcing abfeiern, steht Schröder (ver.di) den arbeitsverteilenden Plattformen in der Cloud eher skeptisch gegenüber und Leimeister (Universität Kassel) et al. beleuchten differenziert die unterschiedlichen Arbeitsformen in der Cloud sowie die arbeitsrechtlichen Folgen.

Während Gäde-Butzlaff (Berliner Gaswerke) der Ansicht ist, „die Wirtschaft darf nicht auf die Politik warten, sondern muss selber handeln“ fordert Schröder gerade dieses politische Handeln z.B. in Form gesetzlicher Regelungen zum Arbeitsschutz und einem Recht auf Nicht-Erreichbarkeit ein.

Grötsch (Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin) et al. prognostizieren in der individuellen und kontextspezifischen Zusammenarbeit zwischen Mensch und Roboter DAS Mittel zur Arbeitsgestaltung. Hier fehlt die ausführliche kritische Perspektive, dass bei derartig datenintensiven Anwendungen grobe datenschutzrechtliche und grundrechtliche Fragen aufgeworfen werden.

Hirsch-Kreinsen (Tu Dortmund) sieht das zentrale Problem in der Diskrepanz zwischen Kontrollierbarkeit der technischen Systeme durch die Nutzerinnen/ Arbeitnehmerinnen und der ihnen übergebenen tatsächlichen (Eigen-)Verantwortung. Georg/ Hellinger (TU Dortmund bzw. IGmetall) stellen die sozialen Aspekte von Technik- und damit Digitalisierungsgestaltung in den Vordergrund und kritisieren den bislang vorherrschenden Technikdeterminismus. Einige Forschung ist in den letzten Jahren zu den gesundheitlichen Aspekten  (auch ergonomischen und psychischen) digitalisierter Arbeit entstanden.

Was m.M. nach in dem Band fehlt, sind Forschungen zu kollektiven Sicherungssysteme, die gerade in Zeiten zunehmender Individualisierung und Entgrenzung notwendig sind.

Resümee:

Die Veranstaltung wurde vom Ministerium für Bildung und Forschung organisiert – da ist es selbstverständlich, dass vorwiegend Forscher und Forscherinnen unterschiedlichster Disziplinen zu Wort kommen. Schade nur, dass sich vergleichsweise wenige Beiträge mit der Perspektive der Arbeitnehmerinnen beschäftigen, die kollektiv auszuhandelnden Arbeitsbedingungen in den Blick nehmen oder den Implikationen für die kollektiven Sicherungssysteme auf den Grund gehen – Ausnahmen wie Lothar Schröder (ver.di), Ariane Hellinger (IGmetall), Erich Bullmann (Betriebsrat bei TRILUX) oder Sabine Pfeiffer (Professorin Universität Hohenheim) bestätigen die Regel.  Naja, von Gewerkschaft-Seite gibt es dann wahrscheinlich den praktisch-handelnden, aktiven-gestaltenden Zugang, der nicht zwischen Buchdeckel passt, sondern zwischen den Menschen und den Maschinen im Betrieb in Echtzeit passiert. Im Vorwort formuliert der Herausgeber Christoper M. Schlink, Präsident der Gesellschaft für Arbeitswissenschaft, den Handlungsbedarf dahingehend:

„Zudem muss der Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in die Praxis deutlich intensiviert werden. (…) möchte ich die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der interdisziplinären arbeitsbezogenen Forschung darin bestärken, sich gemeinsam mit Unternehmen und ihren Beschäftigten [sic!] aktiv an der Analyse bestehender und der vorausschauenden Gestaltung zukünftiger Arbeitssysteme und -bedingungen (…) zu beteiligen.““

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